In der hochklassigen Volleyballwelt entscheiden oft Nuancen über Sieg oder Niederlage. Ein entscheidender Faktor ist die Angriffseffizienz. Ein wissenschaftliches Paper mit dem Titel „Determinant Factors of Attack Efficacy in High-Level Men’s Volleyball: What Does Distinguish the Middle-Attacker Performance?“ untersucht genau dieses Thema. Die Studie wurde von Gustavo De Conti Teixeira Costa (Federal University of Goias), Isabel Mesquita und Patrícia Coutinho (University of Porto), Breno Ferreira de Britto Evangelista (Maringá Club), Michel Milistetd (Federal University of Santa Catarina), Auro Barreiros Freire (PUC Minas) und Herbert Ugrinowitsch (Federal University of Minas Gerais) durchgeführt.

Setting der Studie

Die Untersuchung basiert auf einer umfassenden Analyse von 19.454 Offensivaktionen aus der brasilianischen Superliga. Die Daten stammen aus 142 Spielen der Saison 2015, die 94 % aller Ligaspiele umfassen. Dadurch wurde eine breite und repräsentative Datenbasis geschaffen.

Datenerhebung und Analyse

  • Alle Spiele wurden mit einerSony-Kamera (1080p HD, 60 Hz) aufgenommen, positioniert 7–9 Meter hinter der Endlinie und ca. 3 Meter über dem Boden.
  • Die Analyse erfolgte mit derData Volley Software
  • Fünf erfahrene Volleyball-Scoutsführten die Analyse durch. Sie besaßen mindestens fünf Jahre Erfahrung und wurden speziell geschult, um eine konsistente Datenerfassung sicherzustellen.
  • Zur Sicherstellung derReliabilität wurden 20 % der Aktionen doppelt analysiert. Die Inter-Rater-Korrelation lag zwischen 90 und 1.00, was eine sehr hohe Übereinstimmung bedeutet.

Die Forscher fokussierten sich insbesondere auf die 5.259 Angriffe der Mittelangreifer und untersuchten folgende Faktoren:

  • Qualität der Annahme (A = exzellent, B = mittelmäßig)
  • Angriffstempo (First, Second, Third Tempo)
  • Angriffserfolg (Punkt, Abwehr, Block, Fehler)
  • Zuspieltyp (Right Tempo, Left Tempo, Back Tempo, Seven)
  • Angriffsrichtung (Diagonal, Parallel, Platzierter Schlag)

Die wichtigsten Erkenntnisse der Studie

1. Qualität der Annahme: Basis für erfolgreiche Angriffe

Die Annahmequalität hat einen signifikanten Einfluss auf die Angriffseffektivität. Die Studie verwendet eine dreistufige Klassifikation der Annahmequalität:

  • Exzellente Annahme (A-Qualität): ermöglicht dem Zuspieler eine optimale Entscheidungsfreiheit und eröffnet alle Angriffsoptionen.
  • Moderate Annahme (B-Qualität): schränkt die Angriffsoptionen ein, insbesondere schnelle First-Tempo-Angriffe.
  • Schlechte Annahme (C-Qualität): erlaubt nur noch vorhersehbare Angriffe über die Außenpositionen (wurde in dieser Studie nicht weiter untersucht, da sie keine schnellen Mittelangriffe ermöglicht).

Die Ergebnisse zeigen:

  • Angriffe nach einer exzellenten Annahme hatten eine 32,6%ige Erfolgsquote, während Angriffe nach moderater Annahme nur 22,5% Erfolg hatten​.
  • Die Wahrscheinlichkeit, nach einer exzellenten Annahme einen Punkt zu erzielen, ist 2,05-mal höher als nach einer moderaten Annahme (OR = 2,049; p < 0.001)​.

Trainingsimplikationen:

  • Fokus auf präzise Annahmeübungen unter Druck.
  • Verbesserung der Kommunikation zwischen Libero, Annahmespielern und Zuspieler, um Bälle gezielt in die optimale Position zu bringen.

„High-quality receptions afford the setter excellent setting conditions to organize a more complex attack and faster attack tempos“, so die Autoren der Studie.

2. Angriffstempo: Schnellere Angriffe sind erfolgreicher

Das Angriffstempo beschreibt, wie schnell ein Angriff nach dem Zuspiel erfolgt. Unterschieden wurden in der Studie drei Angriffstempi:

  1. First-Tempo-Angriff: Der Angreifer springt bereits während oder unmittelbar nach dem Zuspiel ab.
  2. Second-Tempo-Angriff: Der Angreifer macht zwei Schritte nach dem Zuspiel.
  3. Third-Tempo-Angriff: Der Angreifer wartet, bis der Ball seinen höchsten Punkt erreicht, bevor er seinen Anlauf startet.

Erfolgswahrscheinlichkeit je Angriffstempo:

Angriffstempo

Punktquote (%)

Erfolgswahrscheinlichkeit gegen Abwehr (%)

First Tempo

65.7 %

78.3 %

Second Tempo

43.2 %

55.1 %

Third Tempo

28.9 %

40.4 %

Die Wahrscheinlichkeit, dass ein First-Tempo-Angriff zu einem Punkt führt, ist 1,75-mal höher als bei langsameren Angriffen (OR = 1,751; p < 0.01).

Warum sind schnelle Angriffe so erfolgreich?

  • Schnellere Angriffe reduzieren die Zeit für den gegnerischen Block, um sich zu positionieren​.
  • Die Verteidigung hat weniger Zeit, den Angriff zu antizipieren.
  • Zuspieler können durch geschicktes Timing der Angreifer die gegnerische Blockstrategie gezielt aushebeln.

Trainingsimplikationen:

  • Verbesserung des Timings zwischen Zuspieler und Angreifer durch gezielte Abstimmungsübungen.
  • Plyometrisches Training, um schneller und explosiver abspringen zu können.
  • Wahrnehmungstraining für Angreifer, um das Timing des Zuspiels besser zu antizipieren.

Die Studie betont: „Faster attacks decrease the chances of the opponents’ defense and high-quality receptions“.

3. Angriffsart: Kraftvolle Schläge sind am effektivsten

Neben dem Timing spielt auch die Art des Angriffs eine große Rolle. In der Studie wurden vier Haupttypen von Angriffen analysiert:

  1. Harter Angriff zur Position 6 (mit hoher Geschwindigkeit und direkter Flugbahn).
  2. Harter Diagonalangriff in Position 1 oder 5.
  3. Platzierter Angriff (Lob oder Tipp in eine Lücke der Verteidigung).

Erfolgswahrscheinlichkeit je Angriffsart:

  • Harte Diagonalangriffe in Zone 5 hatten die höchste Erfolgswahrscheinlichkeit (OR = 3,618; p < 0.001).
  • Platzierte Angriffe (z. B. ein Lob über den Block) hatten die niedrigste Erfolgsquote, da sie leichter verteidigt werden konnten.
  • Die Wahrscheinlichkeit, dass ein harter Schlag zu einem Punkt führt, war 3,5-mal höher als bei einem platzierten Angriff (OR = 3,536; p < 0.001)​.

Trainingsimplikationen:

  • Schwerpunkt auf harte, gezielte Schläge, insbesondere Diagonalangriffe in Zone 5 und 1.
  • Stärkung der Schulter- und Rumpfmuskulatur, um härtere Angriffe ausführen zu können.
  • Taktische Schulung zur Erkennung offener Räume in der gegnerischen Verteidigung.

„The right and left tempo increased the odds of the hard-driven diagonal attack to zone 5 and zone 1“.

4. Zuspielvarianten für den Mittelangreifer: Nähe zum Zuspieler ist entscheidend

Die Studie untersuchte auch, wie sich verschiedene Zuspielarten auf die Angriffseffizienz auswirken. Dabei wurden vier Hauptkategorien betrachtet:

  1. Right Tempo: Zuspiel erfolgt direkt vor dem Zuspieler, Ball wird auf die rechte Seite des Angreifers gespielt.
  2. Left Tempo: Ähnlich wie Right Tempo, aber Ball wird auf die linke Seite gespielt.
  3. Back Tempo: Zuspiel erfolgt hinter dem Zuspieler.
  4. Seven: Zuspiel erfolgt etwas weiter entfernt vom Zuspieler (bspw. 2m-Schuss).

Erfolgswahrscheinlichkeit je Zuspieltyp:

  • Right-Tempo- und Left-Tempo-Angriffe waren am erfolgreichsten (OR = 2,927 bzw. OR = 2,444; p < 0.001)​.
  • Back-Tempo-Angriffe waren etwas weniger effektiv, hatten aber immer noch eine höhere Erfolgsquote als langsamere Angriffe.
  • Angriffe mit größerer Distanz zum Zuspieler (Seven) waren weniger erfolgreich, da sie für den Block leichter zu lesen sind.

Warum sind Nahzuspielformen so effektiv?

  • Der Zuspieler kann den gegnerischen Block besser täuschen.
  • Der Mittelangreifer hat eine kürzere Distanz zur gegnerischen Feldhälfte, was den Block unter Druck setzt.

Trainingsimplikationen:

  • Zuspieler sollten gezielt verschiedene Zuspielvarianten trainieren, um das gegnerische Blockspiel zu verwirren.
  • Mittelangreifer müssen lernen, den richtigen Moment für den Absprung zu antizipieren.

Die Studie unterstreicht: „Middle attackers have been considered of strategic relevance since their actions are used to provide their setters with quicker and better attack options“.

Trainingstipps für Spieler:innen und Trainer:innen

1. Fokus auf eine stabile Annahme

  • Trainiert verschiedene Annahmetechniken, um exzellente Annahmen (Kategorie A) zu erreichen.
  • Arbeitet mit variablen Annahmeszenarien, um unter Druck die Kontrolle zu behalten.

2. Schnelle Angriffstaktiken verbessern

  • Mittelangreifer sollten verstärkt First-Tempo-Angriffe trainieren.
  • Zuspieler müssen lernen, schnell und präzise auf verschiedene Annahmequalitäten zu reagieren.

3. Effektive Angriffsvarianten schulen

  • Angriffe gezielt in Zone 5 und Zone 1 schlagen.
  • Right Tempo und Left Tempo Sets für optimale Angriffswinkel nutzen.

4. Block- und Abwehrstrategien gegen schnelle Angriffe verbessern

  • Verteidiger sollten lernen, First-Tempo-Angriffe vorherzusehen und schnell zu reagieren.
  • Blockspieler können durch gezieltes Antizipationstraining besser auf schnelle Mittelangriffe reagieren.

Fazit: Was wir aus der Studie lernen können

Das Paper von Costa et al. liefert wertvolle Erkenntnisse für Volleyballtrainer:innen und Spieler:innen. Besonders Mittelangreifer spielen eine zentrale Rolle. Ihr Einsatz erfordert jedoch eine hochqualifizierte Abstimmung mit dem Zuspieler und ein gutes taktisches Verständnis.

Die Studie zeigt, dass eine gute Annahme, schnelles Zuspiel und kraftvolle Schläge entscheidend für den Angriffserfolg sind. Besonders Mittelangreifer profitieren von schnellen First-Tempo-Angriffen, da sie den Gegner unter Druck setzen und die Verteidigung destabilisieren.

Für Volleyballer:innen und Trainer:innen bedeutet das: Das Training sollte gezielt auf Annahmequalität, Schnelligkeit und Schlaghärte ausgerichtet sein, um die Angriffseffizienz zu maximieren. Wer diese Faktoren optimiert, kann sein Spiel auf das nächste Level bringen!

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Lies das ganze Paper im Original

https://hrcak.srce.hr/file/454273