Kreispokalfinale | 5. Satz | 15:14 |
Ein/e SpielerIn greift an, der Ball landet einen Meter im aus, das Team freut sich dennoch, will es doch einen „Touch“ im Block erkannt haben. Auf der anderen Seite des Netzes aber auch große Freude, ist der Ball ja schließlich im „Aus“ gelandet.
Was passiert?
Der/die SchiedsrichterIn muss in diesem Fall die hoffentlich korrekte Entscheidung treffen. Aber diese Situation soll ab dem Jahr 2022 der Vergangenheit angehören, wenn es nach dem Willen von Teamsport Deutschland geht, der gemeinsamen Initiative der fünf größten Mannschaftssportverbände (Deutsche Basketball Bund (DBB), Deutsche Eishockey Bund (DEB), Deutsche Fußball-Bund (DFB), Deutsche Handballbund (DHB) und Deutsche Volleyball-Verband (DVV) ) geht.
Diese haben in ihrer vergangenen Online-Sitzung am 26.03.2021 eine bis jetzt eher wenig beachtete Entscheidung mit weiter Strahlkraft getroffen:
Ab dem Jahr 2022 soll in den oben genannten Sportarten in den Amateurligen (Volleyball: alle Ligen auf Landesverbands-Ebene, also bis exklusive Regionalliga) komplett ohne Schiedsgericht gespielt werden.
Erste Infos zur Initiative #fairgewinnt sickern beim Jugendvolleyball Online Kongress heraus
Davon gehört hat VolleyballFREAK im Rahmen des Jugendvolleyball Online Kongresses am 18.3. in der abschließenden Podiumsdiskussion „Jugend Volleyball/ Volleyball wie geht es weiter?“ mit René Hecht, Dr. Ralf Hoppe, Jörg Ahmann, Michael Warm & Christian Dünnes.
Hier ließ DVV-Präsident René Hecht – gegen Ende des Talks und mehr im einen Nebensatz – die Pläne des DVVs und Teamsport Deutschland fallen:
- Bereits ab der Volleyballsaison 2021/22 ist in einer Testphase in ausgewählten Jugend-Staffeln das Spielen ohne Schiedsgericht geplant
- Ab Kalenderjahr 2022 soll dann auch in allen Frauen/ Männer/ Mixed- und Hobbyligen auf Landesverbandsebene ohne Schiedsrichter gespielt werden, konkret aber erst in der Volleyball-Saison 2022-23
Aus unserer Sicht ist das eine Bombe, verändert diese Entscheidung, wenn sie denn tatsächlich so umgesetzt wird, grundsätzliche Automatismen im Volleyball und auch den anderen geplanten Sportarten.
Das wollten wir genauer wissen: Die Recherche beginnt…
Am 27. sowie am 28. März sind erste Artikel hierzu in der Tagespresse (Süddeutsche Zeitung (hier lesen, hinter der Paywall) und Spiegel Plus ((hier lesen, hinter der Paywall) erschienen, sowie erste Reaktionen auf Social Media unter dem griffigen Slogan „#fairgewinnt.
Daraufhin haben wir und mit der Vorsitzenden von Teamsport Deutschland, Petra Joke, zum telefonischen Interview verabredet.
Telefon-Interview mit Petra Joke von Teamsport Deutschland am 29.März | Das sind die Pläne
- Der Wegfall des Schiedsgerichts soll für mehr fairen Umgang aller Amateur-SportlerInnen untereinander sorgen
- Immer wieder gibt es [besonders im Amateur-Fußball] Situationen, in denen SchiedsrichterInnen Partien abbrechen müssen und sich um ihre eigene Sicherheit sorgen müssen: Dies soll hiermit ein Ende haben
- Best-case Erfahrungen gibt es bereits im Tennis, Tischtennis und Badminton. Bei diesen Sportarten wird seit Jahren erfolgreich auf Amateur-Level ohne Schiedsgericht um Punkte gekämpft
- In vielen Sportarten müssen Spiele aufgrund von SchiedsrichterInnen-Mangel ausfallen
- Vereine sparen Abgaben für SchiedsrichterInnen und deren Ausbildung
VertreterInnen aller fünf Fachverbände haben sich einstimmig zu diesem Schritt entschieden.
Was heißt das jetzt konkret für Volleyball?
- Es wird nur noch Einzelbegegnungen geben
- Das Heimteam stellt ein Endgerät für das Scoring und eine Person für das E-Score
Was passiert bei strittigen Situationen?
- Mittel- und langfristig soll sich eine Fairness-Kultur etablieren (#fairgewinnt)
- Da trotzdem strittige Situationen nicht auszuschließen sind, kann mit einer Wiederholung des strittigen Punktes gearbeitet werden
- Am Ende der Saison sollen besonders faire Teams (ermittelt mittels anonymer Online-Umfragen) Boni wie Sachpreise und ggf. Meldegebühren ganz oder teilweise erlassen bekommen
- Teams oder SpielerInnen, bei welchen gehäuft Probleme aufgetreten sind, können vom Spielbetrieb ausgeschlossen werden.
Der genaue Katalog soll noch erarbeitet und auf die jeweiligen Sportarten angepasst werden.
Wie schätzt VolleyballFREAK diese Neuerung ein? Pros & Cons
- + Fairness kann gesteigert werden
- In vielen Landesverbänden wird bei Beachvolleyball-Turnieren bereits lange ohne Schiedsgericht gespielt
- + jede/r SpielerIn ist in der Verantwortung, die Regeln zu kennen
- + keine Gewalt gegen SchiedsrichterInnen mehr möglich
- + keine Spielabsagen mehr wegen fehlender SchiedsrichterInnen
- + keine Ausbildung mehr nötig
- + keine Kosten für Ausbildung und PflichtschiedsrichterInnen/ zentraler SchiedsrichterInnen-Pool mehr
- – gerade zu Beginn und in engen Spielsituationen sind Konflikte vorprogrammiert
- – SchiedsrichterInnen als „Regel-Experten“ gehen verloren
- – ohne Ausbildung im unteren Bereich fehlen perspektivisch SchiedsrichterInnen im Profi-Bereich
Problem SchiedsrichterInnen-Ausbildung für den Profi-Bereich
- Wird „unten“ nicht mehr ausgebildet, droht das Qualifizierungs-System (D/C/B/A-Lizenzen) das Aus
- Um hier entgegen zu wirken, sollen künftig SchiedsrichterInnen-Lehrgänge gratis angeboten und Einsätze ab Regionalliga deutlich höher vergütet werden (bis 300% mehr sollen im Gespräch sein im Vergleich zu jetzt; Details noch ausstehend)
Bleibt die Frage: Wer soll die Kosten hierfür übernehmen??
Stimmen zu den Plänen
Wir haben versucht, für ein breites Stimmungsbild weitere Meinungen von SchiedsrichterInnen und AusbilderInnen einzusammeln.
Theresa Rottmann (A-Schiedsrichterin Halle, Vorsitzende VSRA AK Lehr- und Prüfwesen)
“Ich finde die Idee super. Bei Trainingsspielen, im Training, ja selbst im Schulsport klappt es ohne Schiedsrichter. Dann kann man es auch im Spielbetrieb versuchen. Zudem findet momentan keine praktische Ausbildung von Schiedsrichtern statt. Es entfällt auch für alle Mannschaften das nervige Suchen von Schiedsrichtern.”
Jens Barschdorf (Schiedsrichterlehrwart Bayerischer Volleyball Verband)
„Bereits in unseren niedrigsten Lehrgängen erleben wir, dass die Teilnehmer tolle Regelkenntnisse haben und fair miteinander umgehen. Lehrgänge sind deshalb oft unnötig. Wir gehen nun den nächsten Schritt, der für die Vereine sicher eine Erleichterung ist, da keine Lehrgänge mehr besucht und bezahlt werden müssen. Da die Entscheidungen nun gemeinsam gefunden werden müssen, werden die Regelkenntnisse in den Mannschaften sicher noch weiter wachsen.“
Björn Barnick (B-Schiedsrichter Halle und A-Schiedsrichter Beach sowie Schiedsrichter-Ausbilder im WVV)
„Ich finde die Initiative sehr nachvollziehbar und sie gefällt mir jedes Mal, wenn ich daran denke, besser. Ich kann mir sehr gut vorstellen, wie groß der Unmut bei meinen SR-Kollegen ist, weil der erste Gedanke bei vielen Kollegen ist, dass Sie viel zu wichtig sind, um ein Spiel auch ohne sie erfolgreich über die Bühne zu bringen. Aber wie viel Stress gibt es in den Ligen, in denen es keinen „Zentralen Einsatz“ gibt, sondern die Heimmannschaften die Schiedsrichter organisieren müssen? Ich habe das über 2 Jahre bei meiner Frau mitbekommen und gefühlt umfasst alleine die Aufgabe der Suche nach geeigneten Personen eine Vollzeitstelle. Und selbst in Oberliga und Regionalliga gibt es meiner Meinung nach mehr Diskussionen wegen schlechter Schiedsrichter Entscheidungen, als dass diese das Spiel beruhigen. Wie viele Lebensjahre mir durch die angesetzten Schiedsrichter in meinen zwei Oberligajahren geklaut worden sind, will ich hier gar nicht erwähnen.“
Michael Wernitz (Trainer, Schiedsrichter & Schiedsrichter-Ausbilder Rheinland)
“Von der Idee, ohne Schiedsgericht spielen zu lassen, halte ich schlichtweg gar nichts. In jedem Spiel zweier Mannschaften braucht es immer jemand Kompetentes, der das Spiel moderiert. Für die Schiedsrichterausbildung wäre das der Todesstoß.”
Ihr seht, dass auch unter renommierten SchiedsrichterInnen und AusbilderInnen kontrovers über diese Neuerung diskutiert wird, wobei auch eine große Bereitschaft dafür vorhanden ist, den Plänen von Teamsport Deutschland eine Chance zu geben.
Kommentare zu den Artikeln auf spiegel.de und sueddeutsche.de
Hier noch weitere Kommentare von registrierten NutzerInnen von spiegel.de und sueddeutsche.de
Horst67: so ein Blödsinn!!!!!!!
maJuL1: Für Vereine auf jeden Fall eine Erleichterung. Bin gespannt, wie die Umsetzung klappt…
DirkBär: Gut so, sonst müssen eh immer die gleichen Dummen auf dem Kasten stehen
Babsi82: Ich pfeife gerne und verdiene mir damit etwas dazu. Das geht dann leider nicht mehr
VoBa-Jochen: Damit tun sich die Sportarten allesamt keinen Gefallen. Letzte Saison ist wegen Corona ausgefallen, die nächsten dann wegen dauernder Spielabbrüche wegen Streitigkeiten. Meine Meinung.
Was denkt ihr? Sinnvoll oder nicht umzusetzen?
Ein herzlicher Dank geht an Petra Joke von Teamsport Deutschland für das aufschlussreiche Telefonat und an Theresa Rottmann, Jens Barschdorf, Björn Barnick und Michael Wernitz für ihre Einordnung.
Recherchiert hat das Thema VolleyballFREAK-Redakteur Tobias Goerlich.
Bereits kurze Zeit nach dem Start des Blogs in 2014 schreibt Tobias regelmäßig für VolleyballFREAK. Mehr zu Tobias hier
Auflösung Aprilscherz: Volleyball spielen ohne Schiedsrichter? | Initiative #fairgewinnt
Wie die Meisten von euch schon mitbekommen haben, ist die „Initiative #fairgewinnt“ von Teamsport Deutschland von uns nur ausgedacht. Hoffentlich hattet ihr – in dieser für die allermeisten Volleyball-losen Zeit – ein wenig Spaß und habt euch bestenfalls Gedanken über das Für und Wider gemacht.
Herzlichen Dank an unsere Komplizen/In
Vielen Dank an unsere Komplizen/In Theresa Rottmann, Jens Barschdorf, Björn Barnick und Michael Wernitz, die den Spaß mitgemacht und uns unterstützt haben.
Frei erfunden haben wir den Umstand, dass beim Jugendvolleyball Online Kongress René Hecht etwas zu diesem Thema gesagt habe. Ebenso die Infos sowie die Person Petra Joke (engl. für Scherz), Vorsitzende von Teamsport Deutschland. Diese Initiative gibt es allerdings wirklich. Sie möchte sich aktiv für die Verbesserung der sportlichen, politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Mannschaftssportarten einsetzen.
Aprilscherze haben bei VolleyballFREAK schon seit Beginn Tradition. Es macht uns immer wieder Spaß, verschiedene – mal mehr, mal weniger lustige, relevante oder bekloppte – Dinge zu überlegen und in eine Geschichte zu verpacken. Jedes Jahr auch immer mit tollen Verbündeten an unserer Seite. Mal sehen, was uns in der Zukunft noch so einfällt 😉
Bleibt gesund und wir freuen uns, wenn es wieder sicher in Sand und Halle geht und wir uns z.B. bei einem der Camps wiedersehen,
VolleyballFREAK Tobi
Vergangene VolleyballFREAK-Aprilscherze
2020: Coronabedingt ausgefallen
2019: REVOLUTION IM BEACHVOLLEYBALL: AB 2022 WIRD 3 VS 3 GESPIELT
2016: SCHMETTERLINGE IM GLÜCK – TRAUM VON RIO ERFÜLLT SICH DOCH NOCH – DVV KRITISIERT WELTVERBAND
Bitty
Apr 1, 2021 -
Ich finde, dass bei den Beispielen der anderen Sportarten Äpfel mit Birnen verglichen werden. Vergleicht doch mal ein 1:1 Tischtennisspiel mit einem 6:6 Volleyballspiel:
1. Gibt es viel mehr Beteiligte. Wo sich beim TT zwei Spielende einigen, sind es beim Volleyball 12
2. Die Regelsituation ist doch komplett anders. Aufstellungsfehler (Volleyball), Abseits (Fußball), Kreislaufen (Handball) etc gibt es beim TT oder Badminton nicht. Ziemlich alle strittigen Spielsituationen betreffen direkt das Spielgerät und eine Person, nichts außerhalb und nicht komplexe Spielsituationen.
Klar ist das aktuell beschissen, dass keine Ausbildung von SR stattfindet. Aber dann muss man vielleicht mal das Ausbildungsmodell modernisieren damit man nicht angeschlossene Turniere braucht oder nicht 150km weit fahren muss für einen Lehrgang.
Meiner Meinung nach ist Volleyball (auch Fußball betreffend bspw Abseits) nicht für das selbst schiedsrichten geeignet, was in der Konsequenz zu Regeländerungen führen wird, die nur zu einem einfacherem (!) Spiel führen können, was dann dem Sport seinem, meiner Meinung nach, genialen Reiz nimmt.
Ähnlich, aber anderes Thema, auch mal die Diskussion ums Pritschen. Irgendwann lernt das keiner mehr richtig, ein wunderbarer Sport wird ‘lötschig’ und verhetschelt. Die Klasse geht verloren.
Natürlich soll jeder mitspielen können, aber herausfordernd soll es doch bitte bleiben. Demnächst brauche ich mich im Job auch nicht mehr anzustrengen und was lernen um weiter zu kommen. Was lebt der Sport denn da für das Berufsleben vor? Wenn ich was will, Arsch hoch, lernen und üben.