Seit Anfang der laufenden Saison überträgt sporttotal.tv mit einem automatisierten Kamerasystem die Spiele der Volleyball Bundesliga (VBL) live. Grund genug für VolleyballFREAK mit zwei der Macher über die Startprobleme, geplante Verbesserungen und Zahlen zu sprechen. Zugleich konnten wir auch einen kleinen Blick hinter die Kulissen in die Räume von sporttotal.tv werfen. Selbstverständlich sind auch Eure Fragen in das Interview mit eingegangen. Viel Spaß beim Lesen und Kommentieren!
Unsere Interviewpartner von sporttotal.tv:
· Thomas Wahlen, 30 Jahre, New Media Manager
· Alex Neyer, 27 Jahre, Digital Marketing Manager
Was bietet sporttotal.tv?
Für diejenigen, die nicht wissen, was genau sporttotal.tv bieten möchte, hier eine kleine Zusammenfassung:
· mittels eines 180° Panorama-Kamerakopfes vollautomatisierte Übertragung der Spiele ohne Einsatz von Kamerapersonal
· die Software soll das Spielgeschehen automatisch erkennen und die Kameraperspektive (Schwenks) automatisiert durchführen, ganz ohne Chip im Ball oder im Trikot der Spieler
· gestreamt wird in HD-Qualität (wenn die Internetgeschwindigkeit und passende Abspielgeräte zur Verfügung stehen; es ist auch eine niedrigere Auflösung möglich)
· Live-Videos sowie Video on demand
· kostenfrei da werbefinanziert
· Wiederholungen vergangener Spielszenen im laufenden Stream anschaubar
· 2016 Start der ersten Live-Übertragung beim Spiel SV Lippstadt gegen den FC Bayern München
„Volleyball ist eine fordernde Community“
Hallo Alex, hallo Thomas, sporttotal.tv hat bei der Übertragung von Sport Erfahrung in diversen Sportarten gesammelt. Was ist der Unterschied zu Volleyball?
Alex: Für uns war es ein Start von 0 auf 100 – wir hatten vorher keine Erfahrung mit Volleyball. Gerade deshalb ist der Austausch mit der Community und den Offiziellen im Volleyball so wichtig. Es ist ja auch für uns die erste absolute Profisportart und dementsprechend professionell zu handhaben. Das Feedback ist hier dezidierter, genauer als in anderen Sportarten: Warum funktionieren bestimmte Dinge nicht, obwohl die Technik ja da ist? Warum lagged der Stream [läuft nicht flüssig; Anm. VolleyballFREAK]? Der Austausch ist sehr spannend für uns. Die Anforderungen für die Bildqualität sind teils andere als z.B. im Fußball.
Wieviel Vorlaufzeit hattet ihr, das System für Volleyball zu testen und anzupassen?
Alex: Die Vertragsunterzeichnung war Ende April, am 15. September ist die Saison in der 2. Liga gestartet. In der Zeit mussten die 28 Standorte analysiert und eingerichtet werden. In jeder Halle herrschen andere infrastrukturelle Bedingungen. Zum Saisonstart lief auch noch nicht alles so, wie wir uns das eigentlich vorgestellt haben. An einer Spielstätte benötigen wir u.a. Strom, Internet, die Kamera muss auf das Spielfeld kalibriert werden. Speziell das Thema schnelles Internet ist in Deutschland noch eine Herausforderung. Aber auch Fragen zum Datenschutz, beispielsweise in einer Schulhalle, die Abnahme durch die Stadt und andere Behörden sind klare Voraussetzungen bei einer Installation.
Leider kam es ja schon früh zu Problemen bei der Übertragung. Die Qualität der Software, speziell Probleme beim Verfolgen des Balls wurde bemängelt. Wie viele Updates für die Software habt ihr seit Beginn eingespielt – und was sollten sie verbessern?
Alex: Grundsätzlich sollen unsere Updates den Software-Algorithmus verbessern, eben um solche Aufschlagprobleme usw. zu verringern. Der Spielfluss muss vernünftig dargestellt werden können. Die Kritik haben wir komplett verstanden und auch aufgenommen, durch einige Updates sehen wir immer mehr Verbesserungen. MVP-Verkündungen auf dem Feld, auch Fix-Frame-Einstellungen (zum Beispiel die fixierte Übertragung einer Seite) sowie die individuelle Ansteuerung der Kamera sind nun möglich.
Fußball läuft – warum läuft Volleyball nicht?
Versucht uns mal zu beschreiben, was bei Euch los ist, wenn es zu Problemen bei der Übertragung oder kompletten Ausfällen wie im Spiel Allianz MTV Stuttgart gegen die Roten Raben Vilsbiburg kommt?
Alex: Jede Halle wird vor jedem Event ausführlich auf Bild und Ton getestet.
Je nachdem, welches Problem auftritt, arbeiten mehrere Mitarbeiter direkt daran, es zu beheben. Es müssen ja sowohl die technischen Probleme gelöst als auch viel kommuniziert werden: Mit der VBL, den Vereinen, den Fans. In so einem Fall sind bei uns insgesamt um die 6-8 Mitarbeiter mit der Lösung inkl. Kommunikationsmaßnahmen beschäftigt.
Thomas: Auch unsere Techniker können nicht immer sofort wissen, wo der Fehler liegt. Das liegt einfach an der Komplexität des Systems: Wir testen natürlich vorab sehr ausführlich, dennoch müssen wir lernen: Man kann bei einem Live-Event nicht alles vorhersagen. Es kann sein, dass eine Sicherung rausfliegt, oder, wie gestern (Anm.: 16.01.2019) beim Spiel SC Potsdam gegen Allianz MTV Stuttgart, dass unser Importer unerwartet Probleme macht. So konnte das Live-Signal nicht transferiert werden und das Spiel, obwohl technisch live, nicht auf die Homepage gestellt werden. Ich kann die Fans also natürlich verstehen, die sagen: „Wir freuen uns die ganze Woche auf das Spiel – und dann kommt es zu so einem Fehler, da kriege ich so eine Krawatte! Was machen die eigentlich die ganze Zeit?“ Hier versuchen wir im Rahmen unserer Möglichkeiten mit Kommunikation zu informieren.
„Wir lesen jeden Kommentar und Post!“
Stichwort Kommunikation: Wie geht ihr mit der teils massiven Kritik z.B: via Soziale Medien um, wenn mal wieder etwas nicht klappt?
Thomas: Es ist eine Rautenkommunikation, bestehend aus Liga, Vereinen, Fans und teils auch Spielern selbst. Die Zufriedenheit der Zuschauer ist uns natürlich sehr wichtig. Wir lesen jeden Kommentar und Post – und bemühen uns auch um Antworten, die helfen! Wir versuchen mit den Vereinen und der VBL im „Doppelpass“ alle Probleme zu lösen. Transparenz ist uns wichtig, auch wenn wir nicht alles rausgeben können, was technisch gerade läuft oder auch nicht. Wir haben auch einzelne Fans gefragt: Was können wir verbessern? Wie können wir noch besser kommunizieren? Sagt uns das! Da kommen natürlich auch mal hitzigere Kommentare. Damit müssen wir umgehen. Klar ist auch: Schlimm wäre es, wenn keine Reaktionen kämen.
Was wird Inhalt des nächsten großen Updates sein?
Alex: Ganz klar die Verbesserung des Kameraverhaltens beim Aufschlag, aber auch Möglichkeiten, wie die Kamera bei schnellen Ballwechseln reagiert. Teilweise sieht die Kamera Blocks nicht und das Bild bewegt sich in die falsche Richtung weiter. Kleine Dinge, die aber unheimlich viel für das Seherlebnis ausmachen. Hierfür brauchen wir auch die Möglichkeit, Änderungen testen zu können, z.B. bei Trainingseinheiten der Teams. Das Spiel ist auf einem kleineren Raum viel schneller als z.B. Fußball und damit auch herausfordernder für die Technik.
Eine Userfrage: Wie sehen die Pläne mit der Software aus um der Schnelligkeit des Sports gewachsen zu sein, ohne dabei auf die anderen Bälle des 3-Ball-Systems “hereinzufallen”?
Alex: Die Verbesserung des Algorithmus ist ein stetiger Entwicklungsprozess. Das System ist anhand der Spielfeldlinien kalibriert und soll dem Ball hier folgen. Natürlich gibt es auch Spielaktionen außerhalb des Feldes, das macht es noch komplexer.
„Weiße Box und Schmetterlingslarven“
Was würdet ihr sagen waren die kuriosesten Fehler, die mal bei Übertragungen aufgetreten sind?
Thomas: Ein Fußballbeispiel: Wir waren anlässlich unserer ersten redaktionell aufgewerteten größeren Produktion vor Ort beim Spiel 1. FC Nürnberg II gegen 1860 München. Das Spiel läuft. Und dann bekomme ich die Info aufs Ohr: Da ist eine weiße Plastiktüte auf dem Feld, entfernt sie sofort, die Kamera hat Probleme! Dann bin ich bei einer geeigneten Situation aufs Feld gelaufen und habe die Tüte da weggeholt. In dem Moment willst du die Übertragung sichern, weil wir uns einem sehr großen Publikum präsentiert haben.
Alex: Im Volleyball hatten wir mal bei einem Spiel eine weiße Box neben den Wischerkindern. Und immer bei ruhenden Situationen hat die Kamera diese Box fokussiert.
Thomas: Oder auch das große Schlüpfen gefühlt aller Schmetterlingslarven dieser Welt an einem Tag. Bei einem Fußballspiel sind die Larven an der Kamera vorbeigeflitzt, die Kamera hat komplett unkontrolliert den Fokus gesucht, weil sie natürlich nicht wusste, was sie machen soll.
Wäre es bei solchen Problemen nicht sinnvoll auf „Automatikmodus“ zu schalten?
Alex: Es gibt ja den Panoramamodus, aber der belastet den Upload zwischen 50 und 100% mehr als der normale Modus und ist wegen der Bandbreiten nicht überall umsetzbar.
Hier noch eine Userfrage: Gibt es Alternativpläne für die Position der MVP-Ehrung? Immerhin musste in Aachen dafür die Position der MVP-Ehrung verändert werden, damit die Kamera diese mitbekommt.
Alex: Bei den Skurios Volleys Borken aus der 2. Frauen Bundesliga Nord machen wir einen erweiterten Test für Darstellung und Kommentation. Die Verantwortlichen in der Halle schicken den Stream für die Hallenzuschauer auf eine Leinwand. Zusätzlich mischen sie den Ton des Hallensprechers drunter, so dass auch dieser voller klingt. In der ersten Liga haben wir einige Standorte, z.B. die BR Volleys, die Experteninterviews in den Stream mit einbauen. Perspektivisch natürlich ein toller Mehrwert, wo wir die gegebenen technischen Herausforderungen eben nach diesem Test auch meistern und für weitere Standorte verfügbar machen möchten.
Die letzte Userfrage: Die SAMS-Schreiber sollen spektakuläre Spielszenen im elektronischen Spielberichtsbogen vermerken. Wie kam es zu Entscheidung diese von den Schreibern erledigen zu lassen? Wären die Spielscouts nicht sinnvoller? Wie ist sporttotal.tv mit der bisherigen Ausbeute dieser Markierungen zufrieden?
Alex: In der Vergangenheit haben wir Mitarbeiter, so genannte „Scoreboarder“ verwendet, die Highlights gesucht haben damit wir unsere Top-Clips erstellen können. In Gesprächen mit der VBL sind wir nun zu der Lösung über SAMS als Schnittstelle gekommen.
Thomas: Das Oberthema war für uns die automatisierte Sicherung der Qualität der Szenen. Das können wir selber nicht leisten und beurteilen. Die Qualität der erhobenen Daten ist gut. Wir freuen uns aber auch immer über Meldungen aus der Community zu interessanten Szenen.
„Volleyball mit ersten guten Zahlen – Potenzial rund um die Spiele“
Letzte Frage: Wie zufrieden seid ihr mit den Zugriffszahlen? Wo steht die Volleyball Bundesliga im Vergleich zu „König“ Fußball oder anderen Sportarten? Wo soll die Entwicklung hingehen?
Alex: Zurzeit ist Volleyball die stärkste Sportart in unserem Portfolio. Wir sind mit den ersten Zahlen schon relativ zufrieden, sehen aber natürlich auf allen Ebenen wesentlich mehr Potenzial und Möglichkeiten, rund um das Spiel auch Geschichten und Inhalte zu entwickeln.
Thomas: Wir wollen auf jeden Fall auch die Kommunikation um die Spiele herum verbessern, über die Vereine, einzelne Spieler und Influencer umso mehr Reichweite zu generieren. Hier sind wir schon auf einem sehr guten Weg und werden diese Ideen und Geschichten weiter suchen und herausstellen.
Vielen Dank für das Interview, Thomas und Alex!
Das Interview führten die VolleyballFREAKs Steffen Probst und Redakteur Tobias Goerlich. Das Gespräch haben wir aufgezeichnet. Die Transkribierung und Aufbereitung hat Tobias übernommen.
VolleyballFREAK-Transparenz: Das Gespräch wurde am 17. Januar 2019 aufgezeichnet.